Editorial
«Rundumel»
Im Lexikon zur Kunst in der Schweiz (SIKART) hat der Maler Harry Jo Weilenmann die Bearbeitungsstufe 2. Das bedeutet, dass er in dem Lexikon genannt wird mit Namen, Lebensdaten, Bürgerort, Staatsangehörigkeit und der Vitazeile «Maler, Video, Fotografie, Zeichnung, Gründer des Kunstsalons Wilde Gans». Das war’s! Eine etwas ausführlichere Biografie bekommt man erst in der Bearbeitungsstufe 3. Vielleicht hilft diese Website dabei, diesen kolossalen Sprung zu schaffen.
Harry Jo Weilenmann hat praktisch ausschliesslich «Rundumel» – also Kreise – gemalt. Das war auch der Titel seiner Ausstellung in der Schweizer Botschaft in Berlin. Ihm wurde gelegentlich vorgehalten, es gebe in seinem Werk keine Entwicklung. Das stimmt dann, wenn unter Entwicklung eine thematische und/oder formale Veränderung verstanden wird. Diese gibt es in dem Werk tatsächlich nicht – er hat praktisch ausschliesslich «Rundumel» – also Kreise – gemalt.
Aber diese «Rundumel» sind nicht sein Thema, sondern Träger davon. Sein eigentliches Thema ist Schärfe und Unschärfe und daraus abgeleitet die Verzweiflung unserer Augen, Schärfe zu finden, wo diese Schärfe verweigert wird. Nichts sollte ihn ablenken bei der lebenslangen Erforschung dieses Themas und der «Rundumel» hat jene verwirrende Selbstverständlichkeit, die uns auffordert, uns auf das Wesentliche zu beschränken. Das war schon zu Lebzeiten von Harry Jo Weilenmann keine Kernkompetenz in unserer Gesellschaft, um so weniger heute und daraus resultiert die Aktualität seiner Malerei. Im Einführungstext von Bernhard Fibicher wird das mit Fokus auf das Künsterische eingehend und kompetent hergeleitet. Dem habe ich nichts hinzu zu fügen.
Warum wir es auf uns genommen haben, diese Website zu erstellen? Unsere Absicht ist simpel, «Digital first» unser Credo. Es gilt, das Werk eines spannenden, zu Unrecht vergessen gegangenen Künstlers sichtbar zu machen. Bildende Kunst kann nur wahrgenommen werden, wenn sie sichtbar ist. Und die klassischen Kanäle der Sichtbarmachung von Kunst – Museen, Galerien und Medien – sind überlastet oder sehen sich der Prämisse der «Excellence» verpflichtet, die Diversität verhindert zugunsten der Sensation. Die Digitalisierung öffnet in der Kunstvermittlung Freiräume, die es zu nutzen gilt und die wir für den Nachlass von Harry Jo Weilenmann eingesetzt haben – unkompliziert, sinnlich, spielerisch.
Und wie beurteile ich selber das Resultat unserer Arbeit? Ich denke, es ist gelungen, das Motto der Website «Malen! Nicht erzählen!» erkennbar und – noch wichtiger – erlebbar zu machen. Und es gibt viel zu erleben in dem Werk dieses Künstlers.
Urs Baumann